Interview mit Vera Brandel, Lehrerin am Gymnasium „Am Lindenberg“ a.D am 7.10.22

Vera Brandel arbeitete 43 Jahre als Lehrerin. Am 30.09.2022 schied sie aus dem aktiven Schuldienst aus und trat ihren Ruhestand an.  Sie war an vier Schulen ihrer Heimatstadt Ilmenau tätig. Am Gymnasium „Am Lindenberg“ arbeitete sie 33 Jahre lang. Vera Brandel gehörte zu einer der wenigen noch berufstätigen KollegInnen der Lehrergeneration der Gründung der Schule[1] als Gymnasium im Jahre 1992. Frau Brandel war Personalrätin, Kassenprüferin im Philologenverband, Klassen- und Kursleiterin, Leiterin der Fachschaft Englisch aber in erster Linie Englischlehrerin mit Leib und Seele.

SEP[2]: Welche Emotionen haben Sie als frischgebackene Ruheständlerin?

VB[3]: Freude, die Ruhe zu genießen, irgendwo verweilen zu können und keine Korrekturen mehr bearbeiten zu müssen.

SEP:  Wie begann Ihre Laufbahn als Lehrerin?   

VB: Mit der Immatrikulation[4] an der FSU[5] in Jena im Jahre 1975. Ich studierte Englisch als Hauptfach und Russisch. 1979 erhielt ich meinen Abschluss als Diplomlehrerin. Während des Studiums fanden bereits schulpraktische Übungen an Jenaer Schulen statt. Meine erste Stunde in Ilmenau absolvierte ich in Verantwortung meiner geschätzten Mentorin und späteren Kollegin Frau Kuboth an der POS[6] Wilhelm Pieck. Eine meiner Schülerinnen von dort begegnete mir Jahre später als Kollegin am Lindenberg wieder, wie auch Frau Ingrid Weiß.  Mit ihrer Verantwortung als Mentorin hielt ich als Absolventin meine Prüfungsstunden an der damaligen POS „Karl Zink“.

SEP: Ein Kreis schließt sich. Ich nehme an, Lehrer war seit jeher Ihr Traumberuf.

VB: Seit der 8. Klasse. Die Englischlehrerin Frau Hannelore Nastoll war mein Vorbild. Erinnerungen an diese Zeit sind sehr lebendig.

SEP: Ihre Dienstzeit war auch geprägt von der friedlichen Revolution in Deutschland in den Jahren 1989/90. Welchen Einfluss hatte das auf Ihren Unterricht?

VB: Die Schüler lernten sehr motiviert Englisch, weil nun die Reisefreiheit praktische Sprachanwendung im Ausland ermöglichte.  Ich persönlich lernte als Kind ab Klasse 7 Englisch. Im Jahre 1990 reiste ich erstmalig nach Folkstone in GB[7] . Dort meinten Einheimische, ich sei Muttersprachler, was eindeutig für eine fundierte Englischlehrerausbildung bereits zu DDR-Zeiten an der FSU Jena spricht. Die nächsten 20 Jahre organisierte und begleitete ich Schülersprachreisen nach England, anfangs in Zusammenarbeit mit einer Partnerschule der Stadt Wetzlar.

SEP: Gab es Lieblingsthemen oder Spezialgebiete, die Sie besonders gern unterrichteten?

VB: Landeskunde Schottlands nicht zuletzt wegen der Whiskyherstellung, alles über „Big Cities“[8] von UK, USA oder Australien. Das sind Themen der Klassenstufen 8-10 und auch beliebte Prüfungsthemen.

SEP: Können Sie im Rückblick auf Ihre 43-jährige Dienstzeit einen Abschnitt als die besten Jahre reflektieren?

VB: Jede Zeit hatte ihre Reize. Zu Schülern der Abiturjahrgänge 2000, 2012 und 2021 konnte ich eine besonders enge Beziehung aufbauen, da ich diese über sechs bis acht Jahre zusammenhängend als Klassen- und Kursleiterin begleitete.

SEP: Der Abiturjahrgang 2017 des Gymnasiums „Am Lindenberg“ führte Sie in seiner Abschlusszeitung HABICHT S.51 unter der Rubrik „Lehrer unserer Herzen“ auf. Wie wird man das?

VB: Immer mit den Schülern reden. Nicht nur im Unterricht, sondern auch mal in den Pausen sitzen und reden. Mut machen und auch daran denken, dass in jedem ein weicher Kern steckt. Gerade in den Brennpunkten des Lebens gibt es neben dem Unterricht auch noch viele andere wichtigen Dinge.

SEP: Junge KollegInnen haben in den letzten Jahren am Gymnasium „Am Lindenberg“ ihren Dienst aufgenommen, auch im Fach Englisch. Was geben Sie ihnen mit auf ihren Weg für ein erfülltes Berufsleben?

VB: Die Schüler reden zu lassen. Sie motivieren zum Sprechen auch bei Fehlern. Nicht jeder Fehler muss korrigiert werden. Einfach sprechen lassen. Die Schüler wünschen sich den Lehrer als Partner im Spracherwerb. Offen zu sein für ihre Fragen ist auch wichtig. Den Vorteil, den junge Kollegen haben, ist der Umgang mit der Technik. Diesen sollten sie auch nutzen, das wollen Schüler.

SEP: Worauf sind Sie besonders stolz?

VB: Auf meine erwachsenen Schüler, die heute in allen Lebensbereichen arbeiten als gestandene Leute: in Medizin, Verwaltung, Polizei, an Schulen…  Auf hervorragende Prüfungsergebnisse meiner Abiturienten im Fach Englisch. Nicht zu vergessen meine Kollegiaten[9], für die ich mich eingesetzt habe, als sie nach krankheitsbedingtem Ausfall des Englischunterrichtes am Kolleg ihren Abschluss reibungslos über die Bühne bringen konnten…Auch meine „Bärtigen“😊 ……Über mein Empfehlungsschreiben, das einem künstlerisch talentiertem Schüler half, für ein Designstudium aufgenommen zu werden, weil er geniale Illustrationen im Fach Englisch anfertigte……  

SEP: Erinnern sie sich noch an etwas Spezielles?

VB: An die Klassenfahrt zum Inselsberg im Jahre 2016 mit dem Abiturjahrgang 2021. Für meine beiden jungen teilnehmenden Kollegen war es die erste Klassenfahrt, für mich sollte es die letzte sein.

SEP: Es ist unverkennbar, dass Schule für Sie Lebenserfüllung und Herzenssache bedeutet. Nennen sie drei Dinge, die Sie besonders vermissen werden!

VB: Die Schulatmosphäre, die Begegnungen mit Schülern und die Gespräche mit Kollegen im Lehrerzimmer und in der Fachschaft. Nicht mit allen war man immer einer Meinung aber letztendlich haben wir fest zusammengehalten.

SEP: Fällt Ihnen zum Abschluss vielleicht eine kleine Anekdote ein?

VB: Ja, wie ich nach einer OP aufwache und der Chefarzt mir viele Grüße von einem ehemaligen Schüler ausgerichtet hat, der mich mitoperiert hat und zur Visite an meinem Bett stand. Leider habe ich ihn zuerst nicht erkannt und gebeten, er möge doch noch mal kommen.  Von da an stand er mir jeden Tag meines Aufenthaltes zur Seite.

SEP: Hätten Sie gern noch Dinge angesprochen, die bisher unberücksichtigt blieben?

VB: Auf jeden Fall. Ich danke der Schulleitung für mentalen Beistand und Unterstützung in persönlichen Krisenzeiten, für Herzenswärme, die weit über die normale Dienstpflicht hinausgeht. Ich spreche meine Hochachtung für die hervorragende Planungstätigkeit aus und für beispielhaftes Engagement für unsere Schule.

SEP: Verraten Sie uns noch etwas über Ihre Pläne für den kommenden Lebensabschnitt?

VB: Ja, meinen Mann kennenzulernen 😊, der lebenslang als Fernfahrer tätig war und Weihnachten in den Ruhestand tritt. Ich möchte viel Zeit für ihn haben ebenso wie für meine zwei Enkel und Urenkel. Ich werde verreisen ohne den Blick auf Ferientermine und mir den Tag selbst einteilen.

SEP: Werden Sie also allen schulischen Dingen den Rücken zukehren?

VB: Zumindest allen planmäßigen Dingen. Meine Tätigkeit als Kassenprüferin im Philologenverband halte ich genauso aufrecht wie die Unterstützung von Schülern im Fach Englisch in ihrer Freizeit.

SEP: Frau Brandel, für diese Vorhaben wünschen wir Ihnen als Schulgemeinschaft gutes Gelingen sowie jede Menge Glück und Gesundheit. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen zu schulischen oder außerschulischen Anlässen. Herzlichen Dank für das angenehme Interview!   

Sibylle Eger-Pfützner

Fachlehrerin für Russisch, Kunsterziehung und das Seminarfach; Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit der Schule


[1] Das Gymnasium „Am Lindenberg“ Ilmenau ging aus der ehemaligen POS „Wilhelm Pieck“ hervor.

[2] Sibylle Eger-Pfützner

[3] Vera Brandel

[4] Aufnahme, Einschreibung

[5] Friedrich- Schiller- Universität

[6] Polytechnische Oberschule, Bezeichnung für allgemeinbildende Schulen in der DDR von Klasse 1-10

[7] Großbritannien

[8] große Städte, Metropolen

[9] Schüler des ehemaligen Ilmenau Kollegs, das junge Erwachsene mit Berufsabschluss zum Abitur führte.